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Arbeitspapiere, Analysen
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Unser Oberschlesien, Nr. 5/2003

Zur Debatte um Lage und Zukunft der DMI in O/S

Im Jahre 1998 wurde im oberschlesischen Gleiwitz im Beisein des Bundespräsidenten Prof. Roman Herzog und Frau Prof. Danuta Hübner in Vertretung des polnischen Staatspräsidenten das Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit eröffnet. Warum brauchen wir so ein Haus in Oberschlesien? Wie sind die Rahmenbedingungen Ihrer Arbeit?

Die zentrale Frage unseres Hauses lautet: Welche Rolle kann / muss das deutsche kulturelle Erbe als Element der regionalen Identität in Oberschlesien spielen, wenn sich Oberschlesien künftig im gemeinsamen Haus Europa in Konkurrenz zu anderen Regionen positionieren und behaupten muss. Deshalb müssen wir beispielsweise u. a. auch einen Beitrag zum Aufbau der Zivilgesellschaft in Polen leisten. Denn, ohne eine im Ansatz funktionierende pluralistische Gesellschaft, scheint mir die Akzeptanz des deutschen kulturellen Erbes und der deutschen Volksgruppe in Oberschlesien oder gar ihre Beteiligung am gesellschaftlichen Leben kaum vorstellbar. Darüber hinaus wollen wir Dialogstrukturen aufbauen, damit bestehende Probleme zwischen der deutschen Minderheit und der Mehrheit möglichst im Dialog und gesellschaftlichen Konsens, anstatt auf der Strasse oder per amtliche Anordnung gelöst werden können. Ich muss zugeben, dass wir damit noch nicht allzu weit fortgeschritten sind. Das Beispiel der Konflikte um die deutschen Denkmäler zeigt, dass so gut wie alle Beteiligten nicht den gesellschaftlichen Dialog, sondern Stillhalten fordern. Die Entscheidungsträger sehen nicht, dass ein von den Politikern ausgehandelter Kompromiss von der Gesellschaft akzeptiert werden muss, um getragen zu werden. An diesem gesellschaftlichen Konsens muss gearbeitet werden, sonst hält er nicht, was das Papier verspricht.

Was macht denn das Deutsch-Polnische ihrer Arbeit aus?

Natürlich legen wir in unserer Bildungsarbeit großen Wert auf die Beteiligung deutscher Institutionen, Referenten und Fachleute. Darüber hinaus unterstützen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten die bilateralen Kontakte zwischen deutschen und polnischen Einrichtungen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Förderung der Partnerschaften der Landkreise der Woiwodschaft Oppeln und dem Bundesland Rheinland-Pfalz oder der Woiwodschaft Schlesien mit dem Bundesland Nordrhein-Westfalen. Aber eigentlich geht es um Mehr. Die Frage, die mich beschäftigt, ist der Umgang mit dem deutschen kulturellen Erbe in Oberschlesien. Hierbei geht es nicht nur um die hier ansässige deutsche Volksgruppe, sondern beispielsweise um Architektur, Industrie, Kunst oder Literatur. Wenn heute im polnischen Bewusstein kaum schlesische Wissenschaftler oder Schriftsteller vorhanden sind, so heißt es noch lange nicht, dass es sie nicht gegeben hat. Es gab sie in Fülle. Nur sie waren, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, eben deutschsprachig. Mir ist nur zu bewusst, dass im Nachkriegspolen fast bis in die Zeit der politischen Wende so gut wie alles, was deutsch war, verteufelt wurde. Das "aggressive, imperialistische Westdeutschland" wurde instrumentalisiert, um innenpolitisch die Macht des kommunistischen Regimes zu stützen. Diese jahrzehntelange Indoktrinierung gepaart mit der systematischen Entstellung der Geschichte hat im Bewusstsein großer Teile der Bevölkerung, ob bewusst oder unbewusst, tiefe Spuren hinterlassen. Dies hat natürlich Folgen für die deutsche Minderheit und das deutsch-polnische Verhältnis in der Region und, wie wir an der Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibungen sehen, auch darüber hinaus.

Sie zeichnen die Lage in düsteren Farben. Gibt es auch Lichtblicke?

Die zentrale Frage lautet: wann werden wir soweit sein, wir Polen und Deutsche, um dieses reiche historische Erbe Schlesiens für uns gemeinsam zu erschließen. Es gibt Lichtblicke. Ich beobachte ein zunehmendes Interesse, gemeinsam mit uns, diese schwierige und komplizierte Geschichte aufzuarbeiten. Voraussetzung ist, dass wir von der Betrachtung der deutsch-polnischen Geschichte ausschließlich unter dem Gesichtpunkt Täter / Opfer wegkommen. Trotz aller Grausamkeiten, die im Zweiten Weltkrieg von Deutschen und im Namen Deutschlands Polen angetan worden sind, sind und waren Deutsche nicht immer nur Täter und Polen sind und waren nicht immer nur Opfer. Wir alle, Polen und Deutsche, sind Menschen mit Stärken und Schwächen. Wer behauptet, irgendein Volk sei in seinem Wesen aggressiv oder imperialistisch, hat von der europäischen Geschichte wenig begriffen. Wir sind gerade mit dem Marschallamt der Woiwodschaft Oppeln dabei, ich hoffe, das Marschallamt der Woiwodschaft Schlesien beteiligt sich auch, eine deutsch-polnisch-tschechische wissenschaftliche Arbeitsgruppe einzuberufen und sie mit der Aufgabe zu betrauen, gemeinsam die Regionalgeschichte Oberschlesiens zu erarbeiten. Wichtig wird sein, dass möglichst viele historische Aspekte zur Sprache gebracht werden. Lichtblick ist sicher der Beitritt Polens in die EU. Das gemeinsame Haus Europa bietet eine gute Grundlage, um unsere sicherlich sehr schwierigen Themen, die die Vergangenheit betreffen, in einem neuen Licht zu sehen.

Was hat das Haus bisher in dieser Richtung unternommen?

Das wichtigste Projekt unseres Hauses, das wir von Beginn an realisieren, ist "Lokale Geschichte am Beispiel ausgewählter Städte, Gemeinden und Kreise". In den letzten sechs Jahren haben wir im Rahmen dieses Projekts, das wir in Kooperation mit den kommunalen Selbstverwaltungen und den lokalen Strukturen der deutschen Minderheit durchführen, weit über 300 Veranstaltungen durchgeführt. Darüber hinaus haben wir in den letzten sechs Jahren etliche historische, populär-wissenschaftliche Tagungen und Konferenzen veranstaltet. Wichtig ist es, an dieser Stelle zu erwähnen, dass wir auch zahlreiche Veranstaltungen organisiert haben, die bedeutende Persönlichkeiten Schlesiens vorstellten. Dazu sind zahlreiche Publikationen erschienen. Um die Kenntnisse möglichst breiten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, haben wir mehrere historische Preisausschreiben, Exkursionen und Ausstellungen umgesetzt. Ich bin der Auffassung, dass vor allem für die nach 1945 Zugewanderten gilt: Wer die Geschichte Oberschlesiens zumindest in Umrissen nicht kennt, der kann sich kaum mit der Region identifizieren, der kann auch kaum diese Region als seine Heimat begreifen. Derjenige ist auch kaum in der Lage, einen Beitrag für ihre Entwicklung zu leisten - weder die wirtschaftliche, die kulturelle noch die zivilisatorische. Mir ist nur zu bewusst, welche Herausforderungen, angesichts dessen, was 1921 und zwischen 1933 und 1989 Oberschlesien und die Oberschlesier zu erleiden hatten, uns allen bevorstehen.

Welche Rolle spielt die deutsche Minderheit in ihrer Arbeit?

Grundlage für die Unterstützung der deutschen Minderheit bildet der deutsch-polnische Vertrag von 1991, in dem der deutschen Minderheit die Brückenfunktion zwischen Polen und Deutschen zugeschrieben wird. Wenn wir das im deutsch-polnischen Vertrag festgeschriebene Ziel der Brückenfunktion ernstnehmen, sollten wir wissen, wie der Sachstand ist. Die hier lebenden Menschen deutscher Abstammung waren bis zur politischen Wende vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt. Zum Teil wurden sie für die im Zweiten Weltkrieg verübten Naziverbrechen in Kollektivhaftung genommen. Zu den Auswirkungen im Umgang mit dem deutschen kulturellen Erbe, habe ich bereits Stellung bezogen. Beides zusammen genommen zeigt, wie schwierig die Rahmenbedingungen unserer Arbeit sind. Hinzu kommt, dass vor allem die älteren Mitglieder der deutschen Volksgruppe nach 1945 auf Grund der Abkapselung von der demokratischen Entwicklung Westdeutschlands abgeschnitten gewesen sind. Dies hat schwerwiegende Folgen für ihren gegenwärtigen Zustand und die Möglichkeiten der Kommunikation sowohl mit Polen als auch mit Deutschen. Trotzdem bin ich nicht einverstanden, wenn der ehemalige polnische Botschafter, Janusz Reiter, im Rahmen einer Veranstaltung in Oppeln behauptet: "Die deutsche Minderheit sollte sich vor allem auf der Ebene der Basisarbeit, nicht unbedingt in der Welt der großen Politik, bzw. der deutsch-polnischen Beziehungen realisieren, weil sie hier nicht allzu viel beitragen kann. Das sind Bereiche, die, ehrlich gesagt, außerhalb ihrer Reichweite liegen". Deshalb haben wir beispielsweise für das Jahr 2003 den Vorschlag gemacht, in Oberschlesien auf kommunaler Ebene, ein Netzwerk von Beratern / Bevollmächtigten für ethnische Minderheiten einzurichten. Dieses Netzwerk soll vor allem der Verbesserung der Kommunikation zwischen der deutschen Minderheit und der Mehrheit dienen. Den Grundstein für das erfolgreiche Wirken der Bevollmächtigten im Sinne eines institutionalisierten Dialogs in der Region wollen wir mit einer Serie Qualifizierungsmaßnahmen unseres Hauses setzen.

Es ist unsere moralische und historische Pflicht alles zu tun, damit die heute in Oberschlesien lebenden unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen friedlich und im kulturellen Dialog miteinander und nicht nur nebeneinander leben. Angesichts eines Haushalts für alle nationalen Minderheiten in Polen von knapp 1,5 Mio. € p. A. können wir von polnischer Seite mittel- und langfristig keine nennenswerte Unterstützung erwarten. Es gibt auch keine Hinweise dafür, dass sich das mit dem Beitritt Polens in die EU kurz- und mittelfristig ändert. Vor allem nicht, wenn man Kenntnis darüber hat, dass die polnische Seite durchaus in der Lage ist, wenn es eben ihren Prioritäten entspricht, angemessen zu fördern. So unterstützt Polen beispielsweise seine im Ausland lebenden Landsleute jährlich mit einem Betrag von knapp 15 Mio. €. Nur 13 Jahre nach der politischen Wende ist die polnische Seite offenbar damit überfordert, allein die Verantwortung für die deutsche Volksgruppe und das deutsche kulturelle Erbe in Polen bzw. in Oberschlesien mit all den damit verbundenen Konsequenzen zu übernehmen. Dafür sollten wir ja auch zumindest, historisch betrachtet, in Teilen Verständnis aufbringen. Die deutsche Politik sollte allerdings ihre Verantwortung, die sich eben aus der besonderen Geschichte Oberschlesiens ergibt, weiterhin wahrnehmen.

Welche Schlüsse ziehen sie aus den geschilderten Erkenntnissen für ihre tägliche Arbeit?

Abgesehen von der im deutsch-polnischen Vertrag definierten Brückenfunktion der deutschen Minderheit sehen wir unsere Aufgabe vor allem darin, die deutsche Volksgruppe dabei zu unterstützen, ohne Benachteiligungen am gesellschaftlichen Leben in Polen teilzuhaben und dabei ihre eigene kulturelle Identität zu bewahren und weiter zu entwickeln. Um diesen Zielen näher zu kommen, haben wir in unserer Arbeit folgende Schwerpunkte gesetzt: Wiederentdeckung des deutschen kulturellen Erbes in Oberschlesien als Element der regionalen Identität, Aufbau einer pluralistischen Zivilgesellschaft, Stärkung der deutschen Minderheit (Jugend) und ihrer Verbandsstrukturen, Förderung der Akzeptanz durch die Mehrheitsbevölkerung, Aufbau von Dialogstrukturen zwischen Mehrheit und Minderheit und Unterstützung Polens beim Beitritt in die EU.

Wir stellen fest, dass die deutsche Minderheit in Oberschlesien von Wahl zur Wahl an Zustimmung verliert. Wo liegen ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Es gibt mehrere Ursachen, die mindestens auf zwei Ebenen zu sehen sind. Die erste Ebene betrifft das Verhältnis Mehrheit / Minderheit. Die sinkende Stärke der deutschen Volksgruppe in Oberschlesien ist vor allem auf die erfolgreiche Assimilierungspolitik der polnischen Regierungen bis zur politischen Wende zurückzuführen. Die Alten sterben aus, die mittlere Generation ist eben auf Grund der Assimilierung polnisch sozialisiert. Die Kinder und Jugendlichen, die nach der Wende mit einer deutschen Identität aufwachsen, können die entstehenden Lücken keinesfalls füllen. Ein Großteil der mittleren Generation und der Jugend lebt und arbeitet heute in Deutschland. Die zweite Ebene betrifft die deutsche Minderheit selbst. Die zentrale Frage für die deutsche Volksgruppe lautet: Was ist zu tun, um für junge Menschen interessant und attraktiv zu werden. Wir haben mit dafür gesorgt, dass innerhalb der deutschen Minderheit eine Strategiedebatte über ihre künftige Entwicklung begonnen hat.

Was kann die deutsche Minderheit tun, um diesen Prozess zu stoppen?

Wir werden weiterhin daran arbeiten, dass unterschiedliche, andere Identitäten in erster Linie nicht als etwas Bedrohliches, sondern vor allem als Bereicherung einer Gesellschaft betrachtet werden. Gleiches gilt für die Staatsgrenzen im künftigen Europa. Sie werden ihren trennenden Charakter im zunehmenden Maße verlieren. Das gemeinsame Haus Europa wird den Prozess beschleunigen, Ängste, Vorbehalte und Vorurteile gegenüber anderen, fremden Identitäten abzubauen. Was nicht bedeutet, dass wir als Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit unsere Bemühungen aus diesem Grund einstellen könnten. Neue Umfragen aus Dänemark oder den Niederlanden zeigen, wie wichtig die kontinuierliche Arbeit im Sinne der Völkerverständigung ist und bleibt.

Herr Schäpe, ich danke Ihnen für das Gespräch.


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