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ZUR ROLLE UND BEDEUTUNG DES HAUSES DER DEUTSCH-POLNISCHEN ZUSAMMENARBEIT IN OBERSCHLESIEN


Rahmenbedingungen

Nicht nur die deutsch-polnischen Verträge von 1990 über Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenzen und von 1991 über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, sondern auch die Mitgliedschaft Polens in der EU wird eine qualitativ neue Basis für die deutsch-polnischen Beziehungen, den Umgang mit dem deutschen Kulturerbe und nicht zuletzt für die Entfaltungsmöglichkeiten und Partizipation der in Oberschlesien lebenden deutschen Minderheit legen. Gerade die Zusammenführung der unterschiedlichen kulturellen Einflüsse, polnische, deutsche, tschechische, jüdische, um nur die wichtigsten zu nennen, wurde über Jahrhunderte hinweg als Bereicherung dieser Region empfunden und wahrgenommen. Diese multikulturelle Erfahrung wird im gemeinsamen Haus Europa einen Standortvorteil für Oberschlesien darstellen. Künftig wird die traditionelle Grenzregion Oberschlesien als europäische Region nicht den östlichen Rand der EU bilden, sondern in ihrem Zentrum liegen.

Das 20. Jahrhundert brachte für die Region wenig Erfreuliches. Es war beherrscht vom deutsch-polnischen Kulturkampf und Antagonismus, zwei Weltkriegen, einem Plebiszit, das zur Spaltung Oberschlesiens führte und Flucht, Vertreibung und Aussiedlung für viele Polen und Deutsche mit sich brachte. Hier kann von deutsch-polnischer Schicksalsgemeinschaft hinsichtlich Vertreibungen gesprochen werden. Nach der Übernahme durch Polen 1945 wurde die Region ethnisch gesäubert und polonisiert. Alles Deutsche, auch die verbliebenen Deutschen wurden unterdrückt, die deutsche Sprache durfte zeitweise nicht gesprochen werden.

Erst seit der politischen Wende Ende der 80-er Jahre wurde die deutsche Minderheit offiziell anerkannt und die systematische Leugnung alles Deutschen unterlassen. Mit der Wende begann ein langsamer Prozess der Geschichtsaufarbeitung: Mit Erstaunen stellte man fest, dass in Polen, vor allem in Oberschlesien mehrere hunderttausend Menschen deutscher Abstammung leben. Der Botschafter Polens in Deutschland, Janusz Reiter, sprach den Satz: "Die Steine in Breslau sprechen auch Deutsch". Wer allerdings geglaubt hatte, die ablehnende Haltung großer Bevölkerungsteile in Oberschlesien gegenüber dem deutschen Erbe dieser Region würde sich mit der politischen Wende schnell wandeln, sah sich getäuscht. Die antideutsche Propaganda eines totalitären Systems bezüglich der "wiedergewonnenen" Gebiete hinterließ tiefe Spuren im Bewusstsein vieler Menschen. Es bleibt deshalb Aufgabe und Herausforderung auch für die kommenden Generationen, die Frage nach der künftigen Rolle des deutschen kulturellen Erbes in den ehemals deutschen Ostgebieten Polens öffentlich zu stellen und zu diskutieren. Wobei von der These ausgegangen werden sollte, dass eine regionale Entwicklung (zivilisatorisch, kulturell und wirtschaftlich) ohne den Bezug zu den historischen Wurzeln nicht möglich ist. Abgesehen davon, würde sich ein weiteres Verschweigen der deutschen Geschichte in diesen Gebieten mittel- und langfristig auf das deutsch-polnische Verhältnis nachteilig auswirken. Durch den kulturellen Austausch, die Wiederentdeckung des deutschen kulturellen Erbes und eine faire Geschichtsaufarbeitung sollte vor allem in den ehemals deutschen, heute polnischen Gebieten jenseits der Oder und Neisse ein vielschichtiges auch durch deutsche Geschichte geprägtes Bild der Vergangenheit jenseits ideologischer und nationalistischer Betrachtungsweisen vermittelt werden. Die Akzeptanz der deutschen Minderheit durch die Mehrheitsbevölkerung würde gestärkt. Erst dann wäre es möglich, die polnische Geschichte der ehemaligen deutschen Ostgebiete nach dem Zweiten Weltkrieg richtig zu erkennen.

Sowohl in Polen als auch in Deutschland ist der Begriff Górny Śląsk - Oberschlesien eher negativ besetzt. Für Polen gilt, dass der Begriff Górny Śląsk (Oberschlesien) grundsätzlich gemieden wird. Machen wir uns doch nichts vor, aus Sicht der Region und der deutsch-polnischen Beziehungen ist es wenig hilfreich, wenn der Begriff Oberschlesien - Górny Śląsk auf der einen Seite eher mit "Revanchismus" und "ewig Gestrigen" und auf der anderen Seite mit "Vaterlandsverrat" in Verbindung gebracht wird. Den Menschen muss bei der Neugestaltung geholfen werden.
Vielfältige Ursachen wie beispielsweise: Flucht, Vertreibung, jahrzehntelanger Aderlass durch Aussiedlung und jahrzehntelange Diskriminierung verbunden mit dem Verbot der Muttersprache, Überalterung und mangelnde demokratische Traditionen tragen dazu bei, die deutsche Minderheit zu überfordern, wollte man ihr im Umgang mit den genannten Herausforderungen eine Vorreiterrolle abverlangen. Die deutsche Minderheit ist immer noch damit beschäftigt, die Folgen des Zweiten Weltkrieges zu überwinden. Die Mehrheitsbevölkerung sollte dabei im freundschaftlichen Miteinander zur deutschen Minderheit helfen können.


Ziele und Aufgaben

Das Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit ist ein bilateraler deutsch-polnischer Verband, eingetragen nach polnischem Recht. Es gehört momentan zu den wenigen Einrichtungen, die sich den bereits genannten Herausforderungen stellen. An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass in Oberschlesien - einer Region, die wohl zum Siedlungsgebiet der größten deutschen Minderheit weltweit zählt und die mit der deutschen Kultur und Geschichte sehr eng verbunden ist - nicht eine einzige deutsche Institution wie beispielsweise Goethe-Institut oder deutsche Schule präsent ist. Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit des Hauses sind seine Unabhängigkeit, seine Überparteilichkeit und das Vertrauen, das es sich durch seine kontinuierliche Arbeit bei den unterschiedlichen Bevölkerungsschichten und Partnern in Oberschlesien erworben hat. Aus deutscher Sicht arbeitet es an der Schnittstelle zwischen Goethe-Institut und den politischen Stiftungen. Ohne Zweifel gehört es mit über zehn festangestellten Bildungsreferenten und ca. 160 Veranstaltungen mit rund 15 000 Teilnehmern p.a. zu den größten außerschulischen Bildungseinrichtungen in Polen, die sich der kulturellen und politischen Bildung widmen. Es ist Anlaufstelle für alle Bevölkerungsschichten - auch Deutsche, die sich mit den "offiziellen" Strukturen der deutschen Minderheit nicht identifizieren - die an deutscher Kultur und deutschem kulturellen Erbe Oberschlesiens interessiert sind und deren Bedeutung im Rahmen der heutigen Entwicklung akzeptieren.

Vom Haus werden Themen aufgegriffen, die neben Holocaust zu den schwierigsten im deutsch-polnischen Verhältnis gehören. Das Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit widmet sich als Einrichtung der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung insbesondere den spezifischen deutsch-polnischen Herausforderungen in Oberschlesien. Dabei stehen Aufgaben wie Präsentation deutscher, zeitgenössischer Kultur, die Rolle des deutschen kulturellen Erbes für und in Oberschlesien und die Pflege und Entfaltung der kulturellen Identität der deutschen Volksgruppe im Zentrum seiner Arbeit. Der intensive kulturelle Austausch dient auch der Pflege und Entfaltung der kulturellen Identität der in Oberschlesien verbliebenen Deutschen. Will man diese Aufgaben erfolgreich angehen, muss darüber hinaus auch an den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen gearbeitet werden. Eine plurale, offene Zivilgesellschaft ist Voraussetzung nicht nur für den deutsch-polnischen Kulturaustausch und die Wiederentdeckung des deutschen Erbes in Oberschlesien, sondern insbesondere auch für eine diskriminierungsfreie Entfaltung der deutschen Minderheit. Auch hier muss das Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit Basisarbeit wie politische Bildung, Aufbau der institutionalisierten Dialogstrukturen, regionale Geschichtsaufarbeitung, Unterstützung polnischer Nichtregierungsorganisationen, die im weitesten Sinne politische und kulturelle Bildung organisieren, leisten. Wobei der intensive deutsch-polnische Austausch und die Mitgliedschaft Polens in der EU nicht außer Acht gelassen werden.

Für die Bewältigung dieser Aufgaben ist verstärktes Engagement unerlässlich.

Gliwice, Opole, Mai 2003


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