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Arbeitspapiere, Analysen
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Vortrag im Rahmen des VII. Schlesienseminars
am 23.-28. September 2002 in Groß Stein

Thaddäus Schäpe

Die Lage und Entwicklungsperspektiven der deutschen Minderheit in Polen

Vor einem Jahr, im Rahmen des letzten Schlesienseminars, bin ich ausführlich auf die Rahmenbedingungen der DMI in Oberschlesien eingegangen. Interessierte können dies auch im vorliegenden Strategiepapier nachlesen, auch verfügbar auf der Internetseite unseres Hauses.

Insofern ist die Lage der DMI, wie wir sie heute vorfinden, aus der Geschichte erklärbar und nachvollziehbar. Ich werde es Ihnen deshalb ersparen, die Rahmenbedingungen und ihre Geschichte an dieser Stelle darzulegen.

Die Analyse der Rahmenbedingungen und das Verständnis für die schwierige Lage der DMI in Oberschlesien dürfen uns nicht dazu verleiten, zu sagen, es ist nun mal so und wir können daran wenig ändern. Es ist vielmehr unsere Aufgabe, die bestehenden Probleme und Konflikte zu artikulieren, um Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Natürlich im Sinne der Zielsetzung: gleichberechtigte Partizipation der deutschen Minderheit am gesellschaftlichen Leben in Polen unter Wahrung und Entfaltung ihrer kulturellen Identität.

Heute stehen wir an einem Scheideweg: die Aufbauarbeit und Etablierung von bestimmten Strukturen der DMI wurde im Wesentlichen geleistet:
  • Aufbau von Strukturen, Vereinigungen der DMI (VdG, TSKN, auf der Woiwodschaftsebene, DFKs auf der Kreis- und Gemeindeebene),
  • Bedeutung der DMI auf der kommunalen und regionalen Ebene in der Woiwodschaft Oppeln,
  • Vertreter der DMI im Sejm,
  • Institution zur Wirtschaftsförderung und Wirtschaftsentwicklung (SES),
  • Institution zur Dialogförderung, Geschichtsaufarbeitung (HDPZ),
  • Institution zur Förderung der deutschen Sprache, auch als Muttersprache (Deutsche Bildungsgesellschaft),
  • Medien der DMI (Schlesisches Wochenblatt, Radiosendungen, TV),
  • Institutionen im sozialen- und Medizinbereich,
  • Institutionen zur Förderung der Jugendarbeit,
  • wichtig war auch die Ausgabe von deutschen Pässen an breite Kreise der DMI (über 250 000), die den Inhabern den Genuss der Freizügigkeit innerhalb der EU gebracht haben.
Diese Auflistung weist hin auf die wichtigsten Bereiche der Strukturen der DMI, die heute aktiv sind und mit deutschen und polnischen Fördermitteln ausgestattet sind. Diese Auflistung sagt nichts darüber aus, wie effizient und wirkungsvoll diese Strukturen arbeiten und ob ihre Existenz aus Sicht der künftigen Interessen der DMI im o.e. Sinne überhaupt eine Berechtigung hat.

Da es mir nicht ansteht zu sagen, welche Strukturen ich für überflüssig erachte, möchte ich mich im folgenden darauf beschränken, einige Fragen aufzuwerfen, die aus meiner Sicht für die Entfaltung der DMI von Bedeutung sind:
  • Ausarbeitung einer Entwicklungsstrategie durch den VdG mit Beteiligung breiter Kreise der führenden Persönlichkeiten der DMI, in der Handlungsfelder und Prioritäten hinsichtlich der künftigen Entwicklung nach einer intensiven Diskussion festgelegt werden. Ohne einen breiten Konsens innerhalb der DMI wird so weitergewurstelt wie bisher. Darunter leidet seit langem das Erscheinungsbild der DMI insgesamt. Auch kann die DMI nur dann qualifiziert mit den Gebern (deutsche und polnische Regierung) über die Verwendung der Mittel verhandeln, wenn sie selbst sich darüber im klaren ist, was sie eigentlich will und was sie wirklich weiter bringt.
  • Nach über zehn Jahren Beteiligung der DMI an den politischen Prozessen (Sejm, Sejmik und kommunale Parlamente) sollte man sich folgende Frage stellen: weshalb will ich als DMI die Beteiligung an der Macht? Will ich nur der polnischen Seite beweisen, dass ich politikfähig bin und Verantwortung übernehmen kann oder vielmehr die Frage: wie vertrete und realisiere ich die Interessen meiner Wählerschaft, hier der DMI. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwähren, dass alle Beteiligten, nicht nur Vertreter der DMI, noch zu tief in der kommunistischen, antideutschen Propaganda verhaftet sind. In Folge dessen stehen die Politiker der DMI bisher unter dem Rechtfertigungszwang, allen anderen ihren guten Willen und ihre Loyalität zu beweisen und weniger für die Interessen ihrer Wählerschaft einzutreten. Wenn die Politiker der DMI langfristig als solche überleben wollen, müssen sie sich die Frage stellen, welche Politik sie im Sinne ihrer Wählerschaft vertreten. Wenn sie jetzt allerdings die Schlussfolgerung ziehen sollten, ich sei für die strickte Verfolgung der Interessen der DMI, dann liegen sie falsch. Ich möchte an dieser Stelle nur ein Phänomen formulieren. Ob die Akteure mit mir übereinstimmen und was sie aus meiner Feststellung folgern, ist ihre Sache.
  • Eines der wichtigsten Hemmnisse der Strukturen der DMI ist ihre monolithe und autoritäre Ausprägung. Schwarz-Weiß Malerei, Freund-Feind-Denken und Ausgrenzung helfen hier nicht weiter. Mit Bedauern muss man feststellen, dass es einige wichtige und bedeutende Persönlichkeiten (Intellektuelle) gibt, für die in den Strukturen der DMI kein Platz ist. Dies schadet der DMI und ihren Entfaltungsmöglichkeiten insgesamt, zumal sie ja nun wirklich nicht im Übermaß über solche Persönlichkeiten verfügt. Die Frage muss also lauten, was ist zu tun, um wichtige Persönlichkeiten für die Anliegen der DMI zu gewinnen und was ist zu tun, um für ein möglichst breites Spektrum an Mitgliedern attraktiv zu sein?
  • Landes- und Regionalkunde als Element der Geschichtsaufarbeitung sind unverzichtbare Elemente der Bekämpfung der antideutschen Propaganda und gegen die DMI gerichteten Politik. Eine traditionell multiethnische Grenzregion wie Oberschlesien lebt von Toleranz, Akzeptanz und gegenseitiger Achtung. Dazu gehört vor allem das deutsche Kulturerbe. Ich möchte dies an dieser Stelle am Beispiel des Problems der doppelten Ortsbezeichnungen verdeutlichen. Aus meiner Sicht wäre die Einführung der doppelten Ortsbezeichnungen in Oberschlesien als Symbol der Achtung und Anerkennung der DMI natürlich von Bedeutung. Dies jedoch nur auf die DMI zu beschränken, wäre zu kurz gesprungen. Die Einführung doppelter Ortsbezeichnungen wäre nicht nur als Element der Umsetzung von Minderheitenrechten wichtig, sondern vielmehr als Zeichen der Achtung und Anerkennung auch des deutschen Erbes dieser Region zu verstehen. Zwölf Jahre nach der Wende sollte es an der Zeit sein, die deutschen Leistungen hinsichtlich Wirtschaft, Kultur, Architektur, Wissenschaft und Politik gemeinsam von allen Bevölkerungsteilen zu pflegen und weiter zu entwickeln. Die Pflege dieses deutschen Erbes ist keine exklusive Angelegenheit der DMI, sondern Aufgabe aller gesellschaftlichen Gruppen. Auch hier gilt es: weg von der kommunistischen antideutschen Propaganda. Leider gibt es kaum Initiativen auf der Woiwodschafts- und staatlichen Ebene in diese Richtung (s. Memorandum an den polnischen Präsidenten).
  • Die Aufarbeitung der Geschichte ist zwar eines der wichtigsten Grundlagen für die Akzeptanz der DMI in Oberschlesien, aber nicht hinreichend. Es stellt sich vielmehr die Frage nach dem gesellschaftlichen Modell für das Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien in einer Region. Traditionell neigt man in Oberschlesien dazu, Probleme zu verharmlosen, sie nicht auszusprechen oder wenn, dann zu glätten nach dem Motto "jakoś to bydzie". Dies trifft auch auf das Zusammenleben der Ethnien in unserer Region zu. Diese Strategie mag für eine Zeit als Überlebensstrategie taugen, ob sie allerdings konstruktiv im Sinne gegenseitiger Befruchtung der Kulturen ausreicht, ist zweifelhaft. Allen Beteiligten am Dialogprozess muss klar sein, dass wir uns in einem Prozess befinden zwischen völliger Abgrenzung, Segregation und völliger Öffnung sprich Assimilation. Unbestritten ist als Norm in der EU, der Minderheitenschutz als Instrument der Sicherung der eigenen kulturellen Identität der Minderheit mit dem Ziel, den Fortbestand dieser Identität innerhalb einer Mehrheitsbevölkerung zu sichern, anerkannt. Die grundsätzliche Frage ist: welche Strukturen müssen gelegt werden, um ein befruchtendes Miteinander der unterschiedlichen Kulturen zu organisieren. Ausgangspunkt aller Überlegungen muss sein, dass man die Bemühungen der jeweiligen Minderheit (dies trifft für jede Gruppe zu) als Gruppe sich abzugrenzen, nicht negativ begreift. Denn eine gewisse Abgrenzung ist notwendig, um die eigene Identität aufrecht zu erhalten. Wenn die Abgrenzung aufhört, gibt es keine eigene Identität. Ergo: man hat sich assimiliert. Gleiches gilt umgekehrt: wenn man die Abgrenzung / Segregation zu weit treibt, führt dies zur Isolation und fördert potentiell Konflikte. Die Kunst ist also einen Kompromiss zu finden, der sowohl das Bedürfnis nach Abgrenzung (d.h. Sicherung der Identität), als auch nach intensivem Austausch mit anderen Kulturen befriedigt. Hierzu sind institutionalisierte Strukturen des Dialogs notwendig.
  • Es stellt sich die Frage nach Einrichtungen, die die Stärkung der Identität der DMI und die Pflege der deutschen Leistungen in Oberschlesien zum Ziel haben und zwar nicht im Sinne von Kulturkampf, sondern im Sinne von gegenseitiger Achtung und Befruchtung im gemeinsamen Haus Europa, dessen Mitglied Polen ab dem Jahr 2004 werden soll. Es ist bis heute nicht erreicht worden, beispielsweise eine deutsche Schule, ein deutsches Kulturinstitut (Goethe-Institut) oder ein deutsches historisches Forschungsinstitut in Oberschlesien zu platzieren. Die deutsche Bildungsgesellschaft, die teilweise solche Aufgaben übernehmen könnte, ist viel zu schwach.
Insgesamt stellt sich nach zwölf Jahren die Frage, weshalb man sich zwar mit großem Nachdruck und großer Ausdauer um Belange in den Bereichen Wirtschaft (SES) und Soziales (Wohltätigkeitsgesellschaft) einsetzt. Aber auf die o.e. Initiativen oder Stärkung der deutschen Bildungsgesellschaft, die für das Fortbestehen und die Weiterentwicklung der DMI unerlässlich sind, offenbar keinen großen Wert legt.

Meine Damen und Herren, nun erwarten sie natürlich gespannt meine Vorschläge hinsichtlich der Zukunftsgestaltung der DMI in Oberschlesien. Die Antworten ergeben sich im wesentlichen aus den Fragen. Ich habe die Vorschläge vor geraumer Zeit den verantwortlichen Gremien VdG und Persönlichkeiten vorgetragen. Die Reaktion auf die Vorschläge schwankte zwischen: "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" bis zur Gründung einer "Zukunftskommission beim VdG". Da ich kein Politiker bin, muss ich keine Sonntagsreden halten und muss auch nicht unbedingt zu positiven Schlussfolgerungen kommen. Insgesamt bin ich, was die Weichenstellungen für die Zukunft der DMI anbelangt, sehr ernüchtert. Nicht desto trotz werde ich mich im Rahmen meiner Arbeit als Leiter des HDPZ dafür einsetzen, umfassend die Dinge im Sinne einer gleichberechtigten Partizipation der DMI am gesellschaftlichen Leben in Polen unter Wahrung und Entfaltung ihrer kulturellen Identität voran zu treiben.


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